LICHT QUELLE
Maternushaus Köln, 6. Mai – 10. Juni 2019
Text: Heidrun Wirth
Mohn 3, 2018, Pappmaché, Holz, Plexiglas
63,5 x 63,3 x 6 cm
Mohn 3, 2003, Pappmaché, Holz, Plexiglas
63,5 x 63,3 x 6 cm
Ursula 1-2, 2018, Rubinie, Schlagmetall
39 x 28 x 23 cm, 32 x 28 x 27 cm
Knospe 2, 2018, Pappmaché, Holz, Plexiglas
63,5 x 63,5 cm x 6 cm
Undine 1, 2004, Pappmaché, Holz, Plexiglas
63,5 x 63,5 x 6 cm
Domenico Ghirlandaio, Stefan Lochner, Annalena, Domenico Ghirlandaio, 2013
Gardinenstoff, Foto, Schmuck, Plexiglaskästen
je 33 x 30 x 5,6 cm
Der Ausstellungstitel „Licht Quelle“ im Maternushaus ist mit Bedacht gewählt. In der Tat liegt ein Zugang zu den Arbeiten von Anne Kieschnick in der Betrachtung des
Lichts. In fast reliefhaft überhöhten Wirbeln treibt es wie Spiralnebel über den blauen Bildgrund dahin. Es sind Bilder, die dazu angetan sind, ins Makrokosmische des Sternenhimmels oder des
Universums selbst, auszugreifen. Doch ebenso gut könnte man die mit dem Spachtel aufgebrachten sich überlappenden und verdickenden Spuren aus angerührtem Marmormehl oder -sand auch als riesige
Vergrößerung von Sporenpflanzen, Algen oder Bakterien sehen und sie der Welt der Mikrokosmen zuordnen.
Bereits 1997 hat Anne Kieschnick im Schlossgarten von Schloss Birlinghoven bei Bonn in einer Skulpturenreihe aus Fotografien auf die Biodiversität der Pilze aufmerksam gemacht. Vor den blauen
Bildern denken wir aber weiterhin auch an die Meeresoberfläche mit aufgeschäumter Gischt oder kleinen Schaumkrönchen im Licht.
Ein weites Feld tut sich auf – und das soll es auch sein in der Kunst von Anne Kieschnick, die ihre Aussagen nicht festlegen will, sondern ihre Offenheit betont, so dass wir einmal mehr fragen,
ob in dieser Welt nicht alles mit allem zusammenhängt.
Zum Marmor hat die Künstlerin, die in Pietrasanta in der nördlichen Toskana in Italien in einem Zentrum für Bildhauerei Marmor bearbeitet hat, schon von Anfang ihrer bildhauerischen Laufbahn an
eine besondere Beziehung. Sie kennt das Gestein. Der Marmorsand enthält manchmal noch kleine Glimmerkristalle, die ihr glitzerndes Aufleuchten im Bild beibehalten. Mit Knochenleim angesetzt,
werden die Ingredienzien zu einer Struktur- oder Spachtelmasse verarbeitet und mit Pigmenten oder Champagnerkreide zum Leuchten gebracht. So entsteht das lichtdurchflutete Blau oder auch ein
goldenes Bild, das fast magisch wirkt, mit Schlagmetall über dem polierten Kreidegrund aufgebracht.
Anne Kieschnick hört nie auf zu experimentieren. Und diese Experimente greifen Werk für Werk durch bis auf den Grund ihrer künstlerischen Intension.
Das eben ist die bildhauerische und nicht allein die malerische Auseinandersetzung.
d‘oro 6, 2011, Papier, Schlagmetall, Blüten, Kreide
48 x 41 cm
blaues Meer 1, 2018, Papier, Marmormehl, Marmorsand, Pigmente
116 x 84 cm
d‘oro 1, 2012, Papier, Schlagmetall, Blüten, Kreide
108 x 80 cm
Münzen R. C., 2016
Linde gebeizt, Schlagmetall
48 x 45 x 3,5 cm
Rosalba Carriera
2016, Linde gebeizt, 48 x 45 x 3,5 cm
Giovanna Carriera
2016, Linde gebeizt, 48 x 45 x 3,5 cm
Buchobjekt 2001
Foto, Blüten, Gießharz
9 x 10,5 x 4 cm
Ursula (Kasten mit Mund) 1994
Siegellack, Pappe, Stoff
31,5 x 28,5 x 6 cm
So bleibt es nicht bei einem Umgang mit Oberflächen. Es gibt keine „Oberflächlichkeit“. Der Bildträger selbst wird einbezogen, hinterfragt, über das alte Tafelbild
hinausgehoben. Das zeigt das handgeschöpfte dicke Papier mit eigenwilligem Beschnitt, auf dem dann die ebenso eigenwillige Schichten aufgetragen werden, das zeigen ihre Bildträger aus Pappmaché,
in die sie Rosenblütenblätter oder andere Blüten eingesetzt hat, aber auch dazu dann wieder ganz im Gegensatz eine subtile Anbringung ihrer Arbeiten auf Plexiglasscheiben.
Im virtuosen Umgang mit den Strukturmassen lassen sich auch Risse ins Bild bringen. Es sind haltbare Risse im Spiel mit den Materialien, aber auch im Spiel mit den Gedanken. Was ist ein Bild,
wenn es aufgeschlitzt ist wie bei Lucio Fontana oder wenn es Risse hat? Was ist ein Krakelee mit seinen so zuverlässigen Rissen, das übrigens in buddhistischer Umgebung (Vietnam) zum Sinnbild
von zerbrochener Ganzheit wird?
Diese Unmittelbarkeit von Werk zu Werk enthält stets eine haptische Einladung für die Betrachter. Man möchte diese Bilder und Objekte berühren. Das gilt für die Schnitzarbeiten mit glatt
polierter Oberfläche, wie für die Arbeiten mit Gießharz, die wie große Bernsteine mit Inklusionen geradezu eine (hand-)schmeichelnde Präsenz entwickeln.
In diesem ständigen Experimentieren sind natürlich Überraschungen enthalten, die Anne Kieschnicks Kreativität dann immer wieder ein Stück weiter puschen.
Fotos, die vorher im Wasser lagen, nahmen nach dem Eingießen mit Gießharz einen perlmuttartigen Glanz an. Nachdem diese Fotos vom Rheinwasser 2002 mit Farbfiltern fotografiert worden waren und
sechs Wochen im Flüsschen Olef in Schleiden untergetaucht waren, wurden sie nach dem Trocknen in Gießharz gegossen und auf Plexiglasplatten montiert.
Doch das Spiel mit den Materialien, den Techniken, eine fast alchimistische Lust am Mischen und Probieren, ist noch längst nicht alles. Eine starke kulturhistorische Komponente kommt mit hinzu,
die Lust am Sichhineinträumen in alte Geschichten, sei es in historisch belegte Szenen wie bei der Rokokokünstlerin Rosalba Carriera, sei es in das legendäre Ambiente der Heiligen Ursula. Schon
1989, als ich Anne Kieschnick in der Ausstellung„die Bonnerinnen“ zur 2000-Jahresfeier der Stadt Bonn kennenlernte, hatte sie in einem Rokokoambiente einen Reifrock für die Besucher und
Besucherinnen zur Verfügung gestellt, damit man das Lebensgefühl am Hof des Kurfürsten einmal nachempfinden konnte.
Für die Ausstellung „Superwomen, Pionierinnen und Meilensteine der Frauenarbeit“ 2016 im Bonner Frauenmuseum hat die Künstlerin überdimensionierte Münzbilder wie in einer konkaven
Prägungsform und erhabene geschnitzte Profilköpfe wie in den alten Renaissancemedaillons angefertigt. Sie hat dabei die Lebensgeschichte der Malerin und Porträtistin Rosalba Carriera und ihrer
Freundin nachempfunden.
„Ich wollte einfach ein bisschen die Frauen vorkommen lassen“, sagt sie auch 2018 und fertigt eine Doppelskulptur der Heiligen Ursula an, jener legendären bretonischen Königstochter, die in Köln
durch die Hunnen getötet worden sein soll, geschnitzt aus Robinienholz und wiederum mit Schlagmetall zum Leuchten gebracht.
Schon 1994 Jahre hat Anne Kieschnick sich auf Köln bezogen. Hier waren es rot abgegossene Wachsmünder oder -herzen, einige sind sogar aus Siegellack. In den kleinen Plastiken ist der Kölner Dom
mit seinen zwei Spitzen unauflösbar mit dem Herzen verbunden. In einer Vorzugsausgabe in Form von Kästen zur Ausstellung „Stadtanschauung“ in der Universität Köln wurde die eigenständige
Vorgehensweise der Künstlerin wieder einmal auf den Punkt gebracht. Gerade da hatte sie sich den Finger gequetscht. Als sie den gequetschten Fingernagel besah, hatte der Bluterguss dieselbe
Umrissform wie ihre Wachsabgüsse angenommen und sie staunte einmal mehr über das bewährte Muster: Mikrokosmos = Makrokosmos, und so hat sie das vergrößerte Foto direkt neben den Kölner Dom
gestellt.
Manchmal können Lichtquellen eben auch schmerzlich sein.
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Projektförderung durch ein Künstlerstipendium im Rahmen der NRW-Corona-Hilfen